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Edition Medienturm. DVD reMI: "auto_generation_DC"

Marc Ries, 2004

Der Grazer Kunstverein Medienturm hat sich 'aus Gründen der im Ausstellungswesen oftmals unzureichenden Nachhaltigkeit' entschlossen, einen Vertriebsweg für aktuelle experimentelle Bildkunst zu eröffnen und eine DVD-Edition auf Basis von jährlich vier kommissionierten Videoarbeiten aufzubauen. Auf diese Weise soll eine 'breitere qualifizierte Öffentlichkeit und neue Sammlerschichten' erreicht werden. Die Frage stellt sich, ob solcherart Veröffentlichungen nicht gleichfalls an einem umgedachten Begriff von Publikum sich messen sollten. Denn mit einer limitierten Auflage von 18 und einem Subskriptionspreis von 220,- werden vielleicht Institutionen und 'alte' Sammler angesprochen, nicht aber jene 'populären' Schichten, die gleichfalls und im Sinne eines progressiven massenmedialen Kunstverständnisses Interesse an solchen Editionen haben könnten. Ist der Gedanke abwegig, daß DVD-Editionen mit experimentellen Videoarbeiten in hohen Auflagen und günstigen Preisen nicht gleichermaßen Käuferschichten finden würden, wie Musik-CDs oder DVD-Spielfilme? Quasi als elektronisches Pendant zum Tafelbild? Jedenfalls werden die Editionen in der Ovalhalle des MQ Wien präsentiert und den Beginn macht das Grazer Duo reMI (06.06.04).

Die erste Begegnung mit einer reMI-Arbeit ist zumeist ambivalent. Den flatternden Farbfeldern, scheinbar chaotischen Formwechseln ein System zuzuschreiben und also Gestaltungswille, fällt schwer. Auch wenn man weiß, dass dem ein Störungsprinzip, eine Ordnung in der Dekomposition zugrunde liegt, irritieren die Bilder eher, als dass sie den Blick lenken. Zu offensichtlich ist die "Anti-Form".

Vielleicht lässt sich über eine nicht vorgesehene Intervention das Bedeutungstragende der Bilder einfangen. Der DVD-Player ermöglicht, dass man den Fluss abstoppt, ein Standbild 'erzeugt'. Die Überraschung wird vermutlich groß sein. Nichts ist so, wie man es erwartet hat. Das nun sichtbare Kaderbild hatte man vorher nicht gesehen, es sind stimmige, abstrakte Tafelbilder. Allerdings weiß der Film nichts oder kaum etwas von diesen seinen Bausteinen, den Einzelbildern. Denn diese sind keine solche. Sie sind allererst das Resultat einer grundsätzlich neuen Bildordnung. Zuerst ist das Ganze, dann erst entstehen die Teile. Der zerstörende An-/Eingriff rekurriert auf Sequenzen, die als solche bereits vorliegen, recyceltes Material aus früheren Arbeiten, 'lebendiges' Found-Footage also. Ist der Signalauf- und abbau so schnell, dass der einfachen Wahrnehmung keine Zeit bleibt, so etwas wie ein Einzelbild auszumachen, so liegt das nicht an der Geschwindigkeit, als vielmehr an einer umgekehrten Kompositionspraxis. Nicht wird wie bei allen Film- oder Videoarbeiten zuerst eine Einstellung, ein Frame oder Einheit gestaltet, um dann sukzessive und kontinuierlich einen ganzen Film zu formen. Vielmehr sind die vitalen Flüsse vorgelagerter Datenmengen selbst Objekt der gestalteten Störungen. Man könnte auch sagen, der Körper vorgefundener Datenkomplexe als solcher, als ein Ganzer oder 'single Gestalt' (Manovich), ist Gegenstand der Operationen. Und dieser Körper kann endlos groß sein, ein 'organloser Körper' (Deleuze/Guattari), eine 'Vielheit aus Einheit'.

Eigentlich ist es bloß 'Ein Bild', welches nicht linear, sequentiell zusammengesetzt ist, sondern räumlich geschichtet, entlang einer räumlichen Montage gebaut ist, eine Mehrschichtenbild, das beim Abspielen zusammenwächst und als amorpher, flickerhafter Lichtkörper an der Oberfläche vibriert. Das, was wir sehen, ist 'Ein Körper' in permanenter Auflösung - nicht in diskrete Teile, sondern in Energiefelder. Zugleich hören wir Töne, Geräusche dieser Operationen, die von der Auflösung, dem Liquidwerden selbst hervorgerufen werden. Audio- und Videoquelle sind vernetzt, ineinander verstrickt, das Entsemantisieren des Datenkörpers passiert visuell und auditiv in Echtzeit. Nennen wir sie erhabene Dekompositionen. Hatten reMI vorher Systemabstürze und Manipulationen an der Hardware selber herbeigeführt, so werden diese nun über eine freie Sofware (PD = pure data = public domain) programmiert. Die Gewalt selbst ist zum Programm, zum System geronnen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass reMI eine Methode zur Bild-/Ton-Degenierung verfolgen, die nicht an Ergebnissen interessiert ist, und diese zum Teil auch gar nicht kennt (von 30% Grauzone ist die Rede), sondern an methodisch-mathematischer Störungsstrenge, an den Auflösungs- und Dekompositionsprozessen selbst. Eine Ästhetik der Anti-Form.* Ist ihre Wahrnehmung erst einmal eingeübt, steht einem fortschreitenden Genuss nichts im Wege. Denn die Auflösung von Sinn ist, in reMI´s Fall, der Progression von Sinnlichkeit umgekehrt proportional.

Nachdem LEVIS seine 501 nun auch bereits als 'Anti-Form' vermarktet, dürfte reMI´s Ästhetik gleichfalls hart im Zeitgeist liegen.