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auto_generation_DC - Zeichen, Subjekt und Sinnimplosion

Harald Wiltsche, 2004

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Wir lesen die Welt. Wir lesen nicht nur Texte, wir lesen Gesellschaften, Kulturkreise oder Kunstwerke. Diesem Verständnis ging die Erkenntnis voran, dass die gesamte menschlich rezipierbare Welt von einem Horizont des Sinns umspannt wird. Aus diesem Netz auszubrechen ist schlechterdings unmöglich. Die Negation des Sinns ist undenkbar. Definieren wir ein Wort in der Art einer Privatsprache, erhält es schon im nächsten Moment den Sinn, in der Art einer Privatsprache definiert zu sein.


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Einem universellen, unüberschreitbaren Sinnhorizont stehen die Zeichen gegenüber. Zeichen sind Sinnmonaden. Sie weisen nicht auf unendliche Verweisungsmöglichkeiten hin. Sie zurren fest, sie bezeichnen Partikuläres.


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Zeichen reduzieren die Vielschichtigkeit der Verweisungen. Sinn hingegen potenziert die so geschaffenen Verästelungen. Sinn und Zeichen bilden in ihrer gegenseitigen Bedingtheit die Zelle, aus denen das Subjekt nie oder nur selten auszubrechen in der Lage ist.


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In einer Tradition, die von Burke über Kant bis zu Lyotard reicht, ist in der Ästhetik vom Begriff des ?Erhabenen? die Rede. Bei Burke noch im Sinne des ?delightful horror?, bei Kant weitergeführt anhand der Differenz zwischen dem Erhabenen der Mathematik einerseits und der Natur andererseits. In jedem Fall ist damit eine Überschreitung von genuin ästhetischen Größen bezeichnet. Das Subjekt wird auf sich selbst zurückgeworfen. Es erfährt Größe, die die üblichen Verweisungszusammenhänge übersteigt.


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Für die Werke von reMI ist entlang dieser Linie eine Erhabenheit des Zeichengebrauchs signifikant. Dem/der BeobachterIn werden Ankerpunkte geboten. Anschlussmöglichkeiten, die vermuten lassen, dass es sich um einen ästhetischen Text handelt, der sich irgendwann lesen ließe. Man weiß zwar, dass man es keinesfalls mit dem Rauschen der Kanäle zu tun hat. Aber man weiß nicht, wohin zuerst.


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Farben, Formen, Schnitte, Letter, rhythmische Codes, in Bezug auf das Bild ostensive Frequenzsprünge. Sinn überall. Ständige Sukzession. Nichts bleibt, wie es ist. Und wenn sich das Gefühl einstellt, sicheren Tritt gefasst zu haben, bricht ein neuerliches Zeichendach mit digitalem Getöse ein.


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Ähnlich wie Wittgenstein, der forderte, dass seine Texte nach Beendigung des Lesens weggestoßen werden müssten wie Leitern, über die man gerade erst gestiegen ist, verdichten reMI Zeichen bis zu einem Extrempunkt, an dem das Subjekt nicht nur aus der Selbstoszillation des Sinnverweises aussteigen kann, sondern muss. Zeichen weisen nur mehr auf ihresgleichen. Ohne Partikuläres auszuzeichnen.


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reMI bewerkstelligten dies früher durch Lautstärke, optische wie akustische Intensität und rasende Geschwindigkeit. In jüngster Vergangenheit macht sich eine gesteigerte Subtilität bemerkbar. Dies ändert aber nichts. Am Ende tritt das Subjekt immer seiner eigenen Körperlichkeit und somit sich selbst gegenüber. 'Am Ende' bedeutet: Wenn reMI mit ihm fertig ist. 'Am Ende' bedeutet: Wenn die Implosion des Sinnraums glückt, wenn Erhabenheit erfahren wird und man plötzlich versteht, warum ein roter Subwoofer in der Mitte des Raumes steht.



reMI - Kunst der Überschreitung

Der digitalen Kunst - ob es sich nun um visuelle oder akustische handelt - wohnt ein bemerkenswerter Anachronismus inne. Auf der einen Seite muss sie als Sinnsystem verstanden werden, als Feld der Erprobung von alternativen Verweisungszusammenhängen, die sich der Erwartbarkeit der alltäglichen Kommunikation entziehen. Sie ist also geradezu gekennzeichnet durch ihre Undeterminiertheit, ihre Unberechenbarkeit und durch das kommunikative Risiko, das ihr aus der Sicht 'gewöhnlicher' Sprachmonaden innewohnt. Die Ästhetik trug diesen Charakteristika insofern Rechnung, als man Kunst kurzerhand zur autonomen Erkenntnisform erhob und so ihrer gesellschaftlichen Autonomie den nötigen Raum zubilligte.

Auf der anderen Seite befindet sich das Digitale gerade auf der anderen Seite des Grabens zwischen Aristotelischem und Galileischen - oder man könnte auch sagen: Laplaceschen. Digitale Systeme sind - man verzeihe den Pleonasmus - zweiwertige, hochgradig determinierte Systeme, die sich der Berechenbarkeit höchstens dann entziehen, wenn die eigene Komplexität für sich selbst nicht mehr reicht. Was - so könnte man fragen - leistet digitale Kunst auf dieser, der von sich aus berechneten und berechnenden Seite? Dass sich verwendete Medien keineswegs neutral verhalten und ihre Erzeugnisse hochgradig vorbestimmen, wirkt heute ebenso banal wie die Erkenntnis, dass technischen Systemen ganze Weltbilder innewohnen. Wie also - so könnte die Frage lauten - geht die sich selbst als 'digital' ausweisende Kunst mit dieser Seite ihrer eigenen Weltgebundenheit um? Beim Versuch der Beantwortung dieser Frage kommt man unweigerlich zum Kern des Aussagensystems reMI.

Auf den Aspekt der geplanten Sinnimplosion in den Stücken von reMI wurde bereits in anderen Texten hingewiesen und wenngleich 'Implosion' nicht mit völliger Exklusion gleichzusetzen ist, erscheint dieser Gedankengang nachvollziehbar. reMI übertragen diesen Ansatz jedoch auch auf die Seite der verwendeten Medien, was primär an den Stichworten 'Generativität' und 'Systemüberschreitung' festgemacht werden kann: 'Systemüberschreitung' deshalb, weil die verwendeten Produktionsmaschinen von reMI nicht mehr wie gewöhnliche, lediglich technisch hochavancierte Werkzeuge verwendet werden. Der Bereich des von reMI verwendeten Materials beginnt dort, wo die Maschinen ihren Dienst versagen, wo die Maschinen so lange gegen ihre Bestimmung verwendet werden, bis vollkommen neue Funktionssysteme emergieren. Dieser künstlerische Gestus geht weit über das gewohnte 'Hacken' von technischen Medien hinaus. reMI erproben nicht, was Maschinen über die Grenzen ihrer Handbücher hinaus zu leisten imstande sind, reMI erproben, was Maschinen produzieren, wenn sie gemäß ihrer eigenen Axiome eigentlich bereits zu produzieren aufgehört haben. Mit anderen Worten: die Kunst von reMI stellt einen Versuch dar, Automaten über die Demarkationslinie des von ihnen Erwartbaren zu beanspruchen und zu sehen, was dann passiert.

In letzter Zeit wurde dieser Ansatz zusätzlich durch den Aspekt der Generativität ergänzt: Werden Maschinen von externen Usern bis zu den Grenzen des Erwartbaren provoziert, verschiebt das die Determiniertheit des Outputs lediglich auf eine andere, höhere Ebene. 'Generativität' jedoch bedeutet, dass sich Automaten aus sich selbst heraus bis zu diesen Grenzen treiben, dass Maschinen absichtlich fehlerbehaftet alleine gelassen werden und die Beobachter ihrem Scheitern zusehen können. Mit diesem Vorgehen verlassen reMI den Status des 'Superusers' und setzen autologische, gewissermaßen nach innen gerichtete Automaten, die nichts mehr mit Werkzeugen im gewöhnlichen Wortsinn gemein haben, in die Welt. Aus dieser Perspektive erscheinen die Werke von reMI wie Sichtfenster in einen Bereich, der die selbstständige, also generative Überschreitung von Sinngrenzen auf sowohl kommunikativer als auch technologischer Ebene zum Inhalt hat.