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Text für die "Musikprotokolle/Steirisc[her]bst"


[sounds + visuals] : Bilderverbot

Audiovisuelle Konzerte & Experimente in Kino- und Industrieraum audio-visual experiments and performances
von Christian Scheib

Die Verwendung des Begriffs "Bilderverbot" für das Musikfestival Musikprotokoll - und die des Begriffs "Betriebsgeräusch" für den korrespondierenden Musikprotokoll-Beitrag zum Filmfestival Diagonale - verweisen auf programmatische Paradoxien. Der Begriff "Bilderverbot" - oder auch "Ikonoklasmus" und es sei vorausgeschickt, daß bei den nun folgenden Ausführungen jeweils an Bilder und Musik gedacht ist - ist in diesem Kontext nicht in einer Bedeutung der (protestantischen) Sparsamkeit oder Nüchternheit und nicht in einer Bedeutung des ikonoklastischen Traditionsbruchs, sondern in seiner Bedeutung eines "Abbildungsverbotes" zu verstehen. Es geht nicht darum, sich der Bilder zu entledigen oder sie zu zerstören. Es geht (eventuell) sogar um eine intensive Nutzung des Bildhaften, aber eben jenseits der Naïvität, an eine simple Abbildbarkeit der Realität zu glauben. Nicht Bildersturm, sondern das in Frage Stellen von Übertragungs-mechanismen sind das Thema.
In einem ersten Schritt führt das vorerst zur Forderung nach Selbstreflexivität - der Nichtidentität von Abbild und Abgebildetem - als eines der Topoi der Moderne, zugleich auch zu einer (theologischen) Tradition des Respekts vor dem Nichtabbildbaren. Das muß nicht, wie angedeutet, ausschließlich als visuelles Phänomen verstanden werden. Mit einigen audio/visuellen Beiträgen dieses Musikprotokolls werden Mechanismen rund um die Absicht des Abbildens und Repräsentierens sowie das Verwenden von akustischen und optischen Bildern, Samples, Gesten in Frage gestellt. Andere audio/visuelle Beiträge wiederum zielen auf eine Verwendung optischer und akustischer Mittel ab, die der (traditionellen) Darstellung und den Stellvertretungsmechanismen nicht nahe kommen.
In einem zweiten Schritt führt das zu Fragen nach den Verhältnissen von Kunst zu Realität, zu Fragen nach der Formulierung von (vorgeblich) Nichtkategorisiertem oder Formlosen, Verschwiegenem oder zu Verschweigendem. Vermittels Tönen oder Bildern einen "Wirklichkeitsbeweis für das Abgebildete antreten zu wollen" wäre die Gegenposition zu jenen, "die das Bild zur Differenzierung der Wirklichkeitsebenen" (Bazon Brock) einsetzen wollen. Während Brock die (byzantinisch) ikonoklastische Überzeugung, Abbild und Abgebildetes seien mittels der Materialität des Bildes wesensgleich, als letztlich bilderverehrend analysiert, wird Kunst, die eine (mosaisch) abbildungsfreie Haltung zur Grundlage hat, von Lyotard als eine "jenseits der Repräsentation" bewundert.
Drittens und nicht zuletzt ist der heutige künstlerische wie technologische Stand der Dinge Anlaß zu diesbezüglichen Untersuchungen. Provozieren digitale Aufzeichnungs- und Speichertechniken und mediale Präsenz eine Vervielfältigung der Wirklichkeit, des Abgebildeten, oder eine Vervielfältigung der Abbilder jenseits oder anstatt einer Realität? Zu welchen Haltungen/Ergebnissen führt das Beachten eines "Abbildungsverbotes" in diesem Kontext? Was widerfährt dem traditionellen Topos der Instrumentalmusik, nämlich angeblich gegenstandslos zu sein? Was ist Zeichen und Bezeichnetes in aktueller experimenteller, komponierter, elektronischer Musik? Wie wirkt welche der diversen Bilderverbotstraditionen? Welche Ziele haben heutige künstlerische Strategien bezüglich des Umgangs mit der Wirkmächtigkeit von optischen Bildern und akustischen Gesten, akustischen Bildern und optischen Gesten? Gibt es andererseits Wirklichkeiten, deren Wahrnehmung nur durch jene künstlerischen Strategien zugänglich ist, die sich der Wirkmächtigkeit des "Abildungsverbotes" bewußt sind?
Sowohl künstlerisch wie theoretisch, als internationaler Festival-Programmteil mit audio/visuellen Experimenten und Aufführungen einerseits, als Buchpublikation mit aktuellen Beiträgen andererseits thematisiert das Musikprotokoll 2000 das "Bilderverbot" als oppositionelle, so radikale wie behutsame Perspektive innerhalb der Kunst ebenso wie als Perspektive auf die Kunst.