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Die inneren Landschaften Michael Pinters
Text von Gerhard Lojen

»Ein großes, sehr großes kleineres oder mittelgroßes Gebäude in verschiedene Räume geteilt. Alle Wände der Räume mit kleinen, großen mittleren Leinwänden behängt. Darauf durch Anwendung der Farbe Stücke 'Natur' gegeben: Tiere in Licht und Schatten, Wasser trinkend, am Wasser stehend, im Grase liegend, daneben eine Kreuzigung Christi, von einem Künstler dargestellt, welcher an Christus nicht glaubt, Blumen, menschliche Figuren sitzend, stehend, gehend, auch oft nackt, viele nackte Frauen (oft in Verkürzung von hinten gesehen) Äpfel und silberne Schüsseln, Porträt des Geheimrats N, Abendsonne, Dame in Rosa, fliegende Enten, Porträt der Baronin X, fliegende Gänse, Dame in Weiß, Kälber im Schatten mit grellgelben Sonnenflecken, Porträt Exzellenz Y, Dame in Grün. Dieses alles ist sorgfältig in einem Buch gedruckt: Namen der Künstler, Namen der Bilder. Menschen haben diese Bücher in der Hand und gehen von einer Leinwand zur anderen und blättern und lesen die Namen. Dann gehen sie fort, ebenso arm oder reich, wie sie eintraten und werden sofort von ihren Interessen, die gar nichts mit der Kunst zu tun haben, absorbiert. Warum waren sie da? In jedem Bild ist geheimnisvoll ein ganzes Leben eingeschlossen, ein ganzes Leben mit vielen Dualen, Zweifeln, Stunden der Begeisterung und des Lichts. « (Wassily Kandinsky)

Eine der Feststellungen, die wir Kandinskys Text entnehmen können, ist das Vorhandensein einer Kluft zwischen Kunst und Leben, und viele Betrachter sind außerstande, über diese Kluft eine Brücke zu schlagen. Sie spüren nichts von dem Leben mit seinen Höhen und Tiefen, das in die Bilder eingeschlossen ist und erliegen dem Charme oder dem Schauer von Legenden, die sich um Künstler und Werke ranken. Sie bleiben Zuschauer, die nur den nachgebildeten Gegenstand das Abbild sehen, das ihnen gefällt, was aber nichts anderes heißt, als daß sie seine Gefälligkeit suchen. Dem Beschauer gefällig zu sein kann wohl nicht der Sinn ernsten künstlerischen Schaffens sein.
Entscheidend für die Gültigkeit des Kunstwerks ist sein innerer Klang, der, wie uns Kandinsky weiter unterrichtet auf dem Prinzip der inneren Notwendigkeit gründet, das aus drei Wurzeln erwächst: dem Element der Persönlichkeit des Künstlers, dem seiner Epoche und seines Umfeldes, und dem des Rein- und Ewigkünstlerischen. Dieses Prinzip zieht sich wie der Ariadnefaden von den steinzeitlichen Felsritzungen und Höhlenmalereien durch die mittelalterliche Buchmalerei und die Entwicklung des Tafelbildes bis in die Gegenwart. Das ging und geht natürlich nicht ohne Kämpfe ab, ist doch die Geschichte der Kunst das Seismogramm einer sich durch die Jahrtausende ziehenden Kettenreaktion.
Der Weg eines jungen Künstlers ist gekennzeichnet durch Unsicherheiten und Konflikte nach innen und außen. Weicht er diesen aus und gibt sich mangels Kritikfähigkeit seiner Arbeit und seiner Person gegenüber allzubald zufrieden, kann er zwar noch die äußere Form, nicht aber die Botschaft seines Werkes steigern. Diese Botschaft - und nur sie - ist der eigentliche Inhalt jener Aufgabe, die ihm als schöpferischen Menschen auferlegt ist. Kreativ, also Kreator zu sein, ermöglicht ihm das Schaffen autonomer Eigengestaltungen, die einen Anteil haben am Fluß der steten Wandlung der Gesamtheit einer zeitgenössischen Kunstentwicklung.
Michael Pinter hat sich seinen Konflikten gestellt und sie in Bildern, Zeichnungen und Aktionen ausgetragen. Seinen Experimenten hat er das entnommen, was sich für die weitere Arbeit sinnvoll erwies, hat Entbehrliches durch Notwendiges ersetzt und sich für das Tafelbild entschieden. Die Arbeitsweise erscheint einfach: Pinselstriche, auf einen vorbereiteten Malgrund gesetzt, bewegen sich frei in einer Bilderschrift oder formieren sich parallel, verdichten sich in Ballungen, werden von pulsierenden Flächen überlagert. So baut der Künstler spannungsgeladene Vibrationsfelder auf, sensible Areale, in denen der Duktus des Pinselstrichs alle Bereiche von kraftvoll bis zart durchspielt. Es sind Territorien des Inneren, in denen immer wieder ein Landschaftscharakter spürbar wird.
Blaue und graue Abstufungen beherrschen die Mehrheit dieser Tafeln, abgestimmt in reicher Nuancierung. Energiebündel durchströmen die Tableaus, schaffen jedem den ihm zugedachten Bildraum und werden wiederholt durch rote oder grüne Spuren akzentuiert. Dann wieder öffnet sich der weiß-atmende Bildgrund, zu den Blau-, Grau- und Schwarzwerten fügen sich helles Grün und leuchtende rote und gelbe Töne und an die Stelle des rhythmischen Stakkato treten die großen Farbklänge. Alles weist diese Bilder als Teile eines Universums aus.
Keine Beschreibung eines Kunstwerkes vermag dieses auszuloten. So ist auch Pinters Malerei nicht auf das retinale Moment zu verkürzen. Dahinter steht immer noch ein in Worten nicht faßbares Geheimnis, das wie in einem Parallelprozeß im Betrachter eine ganz bestimmte Saite anschlagen kann. Vielleicht ist das letzlich der Grund seines künstlerischen Tuns.
Pinters malerisches OEuvre begleitet ein zeichnerisches, in dem der Künstler Papiere verwendet, die durch verschiedene Gebrauchs- und Alterungsspuren mit Leben aufgeladen sind. Im Unterschied zu den Bildern verzichtet er hier nicht grundsätzlich auf gegenständliche Formen, sondern entfaltet mit diesen Eigenschöpfungen skurriler Dinge und Wesen ein Szenario der Kuriositäten. Die Mittelfalte eines geölten Blattes kreuzt ein mit einer zähnefletschenden Spukgestalt verwachsener, die Elemente verbindender Anker, ungeeignet zur christlichen Seefahrt, brauchbar aber für ein Vehikel der Phantasie, das nicht an einer Stelle festzumachen ist.
Mehrere der bezeichneten Buchseiten entstammen Gustav Meyrinks Golem, in dem der Dichter die grotesk-phantastische Welt des Prager Ghetto mit jüdischen und orientalisch-okkulten Geheimlehren beschreibt. Die daraus geborenen Alpträume, Ängste und schemenhaften Dämonen spiegeln sich in den eingetragenen Kreaturen wieder, die unvermittelt aus dem Blattmuster auftauchen, um von ihm Besitz zu ergreifen. Niemand kann sicher sein, ob sie nicht gleich wieder verschwinden, wenn sich der Beschauer von ihnen abwendet. Doch schon Jahre zuvor hat Pinter die Kräfte der Gestirne für sich entdeckt, mit denen sich alle Spukgestalten bannen lassen.
Kunst kann nur in Freiheit, das heißt, in der Selbstbestimmung des Menschen entstehen. Für die Kunst, und auch das hat Kandinsky gewußt, gibt es kein "muß". Nur so vermag sie sich in einem geistigen Leben mit allen Zweifeln und Freuden zu entwickeln. Dazu hat Michael Pinter mit seiner Arbeit einen notwendigen Anteil geleistet.