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"listening_comprehension"

© Thomas Ballhausen 2000

Die Oberfläche des Wassers ist still, ruhig, vermittelt uns den Eindruck eines unwirklichen Friedens, der die Welt darunter verdeckt. Unseren Blicken entzieht. Die Oberfläche des Fernsehers ist tot, still, trügerisch leise. Mit dem Griff zum Stein, zur Fernbedienung, wird alles anders. Wir haben es in der Hand, die Bilder und die Töne zu ändern. Uns den Blick unter die Oberfläche zu gestatten, wenn auch nur kurz. Für einen kleinen Moment ändern wir alles.
Die kulturgeschichtliche Entwicklung zeigt uns einen Wechsel von der Oralität zur Schriftlichkeit zur Netzkultur. Aber hier endet die Linearität. Während sich auf dem Buchsektor nach und nach der Prozeß einer Relibrisierung durchsetzt, wagt man auf dem musikalischen Sektor den Schritt in die Flüchtigkeit. Du kannst nicht zweimal in den gleichen Fluß steigen, Du kannst nicht zweimal das gleiche Internet betreten, Du kannst nicht zweimal das gleiche Musikstück hören.
Trotz aller Speichermedien tendiert dieser Bereich nicht nur zur Grenzerweiterung, sondern sogar zur Grenzaufhebung. Das Fragmentieren durch einen scientific filter, gesteigert durch schnelle Wechsel und den ständigen Einbezug von Zahlensystemen erzeugt eine kabbalistische Form der Musik, einen Golem-Sound. Ausgangs- und Endsituation sind bekannt; dazwischen liegt die Grauzone einer kombinatorischen Mathemagie.
Eine parallele Entwicklung ist die von der Dialogizität ausgehende zur Intertextualität bis hin zur Intermedialität. Das bachtin´sche Konzept der Dialogizität spricht Texten eine Vielstimmigkeit zu, die nicht nur subversive Elemente enthält, sondern auch eine endgültige Interpretation unmöglich macht. Dieser Ansatz wurde von Kristeva zur Intertextualität weiterentwickelt: die besondere Eigenschaft des jeweiligen Textes ist der Bezug zu anderen Texten. So entsteht ein Netzwerk aus miteinander verknüpften Texten, kein Text steht mehr für sich allein. Die Intermedialität schließlich bezeichnet "Phänomene der Vermischung zwischen unterschiedlichen Medien" (Spielmann).
Textfragmente werden hier nun in stroposkopischer Umgestaltung aus dem ursprünglichen Sinn gelöst. Die grammatische Ordnung wird zerbrochen, die Syntax aufgehoben, der Ausgangstext wird dekonstruiert, löst sich schließlich in Wortfetzen und Buchstaben auf.Über Bezugnahme auf Symbole und Zeichen schaffen Doppelprojektionen ein neues Bild: gemeinsam mit den rundum positionierten Speakern kommt es zu einer Abstraktion aller Verbote in ungeahntem Ausmaß.
Die Verknüpfung von Realität und Repräsentationssystem spiegelt sich zwangsläufig auch in Gesellschaft und Kunst. An der Oberfläche. Was immer dort zusehen ist, hat das Bilderverbot passiert. Doch darunter zeigt sich schemenhaft die zweite Ebene, die verdeckte Wahrheit. In diese Richtung zielt der Schlag: das Abbild ist eine Ungenauigkeit, die Spiegelung an der Oberfläche sind nur wir selbst. Der Blick auf die Dinge wird verstellt, durch ein Minenfeld widersprüchlicher Medienerscheinungen erschwert, das Zappen zwischen Wellen und Kanälen bringt nur ungenügende Ergebnisse.
Der Stein und die Fernbedienung wiegen schwer in unseren Händen. Es ist an uns, zu entscheiden. Die Reproduzierbarkeit zu verweigern, die Kontrolle zu versenken, die Scheibe einzuschlagen liegt ganz bei uns. Die Abstraktion des Verbots rückt in unmittelbare Nähe.
Tu was Du willst, geh es an. Aber tu es.
Wirklich.