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"reMI-Phase"

© Thomas Ballhausen 2000

Ein Eintauchen in die reMI-Phase, ein sich darauf einlassen, das Zucken der Augen, das bewußtere Hören. Wie soll man mit einer Positionierung umgehen, die sich nicht nur als "neue Avantgarde" versteht und bezeichnet, sondern auch so arbeitet? Es ist das verwirrende Arbeiten, ganz wie herkömmliche Filmemacher, mit dem Material: bloß wird hier der Rechner vom unwilligen Werkzeug zur Schöpfungsmaschine.
Die Irritation der Maschine als Funktion der Maschine wird hier zum Credo, zum unabkömmlichen Glaubensbekenntnis, dem einzigen. Doch nicht die Weiterführung eines überholten, futuristischen Gedankenguts, kein stumpfes Anbeten der Maschine, macht uns den Zugang besonders leicht. Statt dessen ist es die Zergliederung, die Realisierung von theoretischen Unmöglichkeiten, die immer dann auf den Plan tritt, wenn unplanmäßige Funktionsweisen den Standardbetrieb ersetzen. Der Hang zur Radikalität äußert sich nicht in banal-aggressiver Weise, sondern im Mut zur Entscheidung. Über den ständigen Bezug zum Bereich des Noise, zum ungewollten Geräusch, und die absolut "inkorrekte" Wahl der Mittel vereint all dies in der schlichten Verweigerung akademischer Vorgehensweisen.
Die Definition erweist sich auch als richtungsweisend für technische Entwicklungen: nichts ist statisch; deshalb auch die extreme Position in der Weiterentwicklung von Kultur und Technik. Das fertige Produkt basiert zwar auf einem computer-fuck-up, aber nun wird auch das Eingreifen in das Chaos möglich, die Kontrolle geht wieder an den Benutzer zurück. Dies zeigt sich am offensichtlichsten in der Namensgebung der generierten Files: automata inak - eine Generation weiter, als wir uns träumen lassen. Aus REM wird reMI.
Die Gefahr mit der Wahl der Bezeichnung "neue Avantgarde" ist offensichtlich: Vorstellungen von Vorreitern und ihrem Scheitern verstellen uns den Blick auf die neuen Tendenzen, machen also zum Altbekannten. Die Welt kann nicht neu erfunden werden, alles scheint schon gemacht, probiert und verworfen worden zu sein. Doch in der Neuordnung der Teile ergibt sich nicht immer zwingend das gleiche Endergebnis. Man darf sich von der weltgewandten Abgeklärtheit des Kulturbetriebes nicht von der Möglichkeit neuer Experimente und Abenteuer abhalten lassen: es gibt noch viel zu entdecken.
Die kulturgeschichtliche Entwicklung zeigt uns einen Wechsel von der Oralität zur Schriftlichkeit zur Netzkultur. Aber hier endet die Linearität. Während sich auf dem Buchsektor nach und nach ein Prozeß der Relibrisierung durchsetzt, wagt man auf filmischen und musikalischen Gebieten den Sprung in neue Bereiche. Trotz aller Grenzerweiterungen, zielt man letztendlich doch auf eine endgültige Grenzaufhebung.
Eine parallele Entwicklung ist die von der Dialogizität ausgehende zur Intertextualität bis hin zur Intermedialität. Das bachtin´sche Konzept der Dialogizität spricht Texten eine Vielstimmigkeit zu, die nicht nur subversive Elemente enthält, sondern auch eine endgültige Interpretation unmöglich macht. Dieser Ansatz wurde von Kristeva zur Intertextualität weiterentwickelt: die besondere Eigenschaft des jeweiligen Textes ist der Bezug zu anderen Texten. So entsteht ein Netzwerk aus miteinander verknüpften Elementen, kein Text steht mehr für sich allein. Die Intermedialität schließlich bezeichnet "Phänomene der Vermischung zwischen unterschiedlichen Medien" (Spielmann).
Hier setzt nun reMI an: was in der Intertextualität sehr gut für Texte per se funktioniert, und in der Intermedialität in der Kombination nachgewiesen wird, funktioniert eindeutig zugunsten ihrer Arbeitsdefinition. Mit der vermeintlichen Rückkehr zu herkömmlichen Mitteln und Werkzeugen wird der Wunsch nach untoter Tradition kritisch unterlaufen. Diese freundliche Täuschung evoziert zwar auch andere Erwartungshorizonte beim Publikum, doch die Wahl der Mittel bleibt unbestritten. Eine Lösung von der vorgegebenen Folie zeigt sich im Ausdruck, und vor allem in der Verbindung von Bild und Ton, als eine gleichberechtigte Struktur in neuem Erscheinungsbild.
Avantgarde kann man in diesem Sinne auch nur begrenzt "kennen": Entwicklungen lassen sich über lange Jahre hinweg zwar verfolgen, vielleicht sogar prognostizieren, aber die Avantgarde bleibt flüchtig, unabhängig. Daß sie von Systemen erfaßt und vereinnahmt wird, läßt sich leider auch durch die Frage nach wirtschaftlicher Rentabilität erklären, die zunehmend auf den Kulturbereich negativ einwirkt.
Definition und theoretischer Unterbau fließen ins Werk mit ein. Grundlage jeder der Verbindungen ist die Musik. Aufbauend auf Audiomaterial wird innerhalb des Programmes jede Möglichkeit ausgereizt, ausgetestet und gequält, bis ein jämmerlicher Absturz erfolgt. Die Materialsammlung wird zur Komposition, bleibt aber bar jeder Beliebigkeit. Die bewußt gewählten Elemente, die sich durchaus auch mit einem Orchester vergleichen lassen, ermöglichen einen fixen Ablauf, der aber weiterhin von ungewissen Grauzonen durchbrochen wird.
Zusammen mit den Filmen kommt es so zu einem gleichberechtigten Wechselspiel der Sinne: die filmische Reaktion auf die musikalischen Parts war vorerst stark mathematisch geprägt, diese Strukturierung wurde zugunsten der Bildkomposition aufgegeben. Das inaktive Generieren, die eigentliche Irritation der Maschine, veranlaßt dazu in diesem erstellten File, Frames auswählen, die dem Prinzip der automata inak entsprechen. Die abgelösten, inaktiven Bilder - die von immenser Bedeutung sind - erfahren eine begrenzte Belebung mit dem Cursor. Deren Wiederaufnahme gewährleistet nicht nur die eigentliche Bildkomposition; innerhalb ähnlicher digitaler Aufbauten wird es zur Herausforderung, dem Zufall etwas Neues abzuringen.
Der Künstler muß hier auch als Dompteur herhalten: die große Anstrengung in einem Live-Act, das Chaos sichtbar und hörbar zu machen, die Maschine an ihre Grenze bringen, fordert ihren Tribut. Aufnahmegeräte, die an digitalen Übertragunsgebrechen beteiligt sind, schöpfen Störgenerationen mit. Fortgesetzt bedeutet uns dies: die Maschine spricht, berichtet aus ihrer digitalen Welt heraus, jenseits von Animation, Programmierung und Effekthascherei.
Mit diesem Einblick in einen sich uns entziehenden Geist rückt man der, sich ebenfalls als unerreichbar bezeichneten, letzten Wahrheit ein gutes Stück näher. Erreicht ist sie noch lange nicht, doch ihr Panzer wird brüchig, ihre Flucht nachlässig; reMI ist auf dem besten Weg dorthin.
Und das ist das Beste, was man sich wünschen kann. Fast noch besser, als die Möglichkeit, im Wachzustand zu träumen, sie träumend zu begleiten. Aber eben nur fast.